Mit dem Bistro-Traum in die Insolvenz – Eine kurze Geschichte vom Scheitern
In diesem Blog stellen wir seit Jahren Menschen vor, die ihre Job-Träume Wirklichkeit werden lassen. Was aber, wenn daraus keine Erfolgsgeschichte wird, was wenn man scheitert? Dirk Middeldorf hat genau das erlebt und erzählt davon in diesem Bericht.
Meine Geschichte beginnt 2008 in Thailand im Urlaub an einem einsamen Strand. Ich war zu der Zeit in der Internetbranche als Bereichsleiter festangestellt und habe von Zeit zu Zeit über eine Selbstständigkeit nachgedacht. Mir fehlten aber sowohl die Kreativität als auch Mut, den sicheren Job zu verlassen und etwas Neues zu wagen.
In diesem Urlaub habe ich das Buch Minusvisionen – Unternehmer ohne Geld gelesen. Darin erzählen Unternehmer von ihren gescheiterten Geschäftsideen. Die Interviews wurden alle mindestens sechs Monate nach dem Scheitern geführt und mir fiel auf: denen geht es allen gut. Sie sind zufrieden und es ging in ihren Leben positiv mit neuen Ideen weiter. Keiner lebte prekär, wovor ich am meisten Angst hatte.
Das Buch bewegt etwas in mir und zurück aus Thailand setzte ich mich mit meinem Freund Kai zusammen und wir erdachten ein Bistro-Konzept, das mich schon lange beschäftigte. Die Idee war, einen Laden zu eröffnen, indem es eine große Auswahl von regionalen Spezialitäten aus ganz Deutschland gibt. Dem Laden sollte ähnlich wie italienischen Lebensmittelgeschäften ein Bistro angeschlossen sein. Das müsste doch funktionieren, dachte ich mir. Das Bistro sollte „Nervös“ heißen, soviel war klar. Dennoch blieben wir erstmal in der Konzeptphase stecken. Wir hatten nämlich weder Geld, noch Erfahrung oder Kontakte zur Wirtschaft. Es war eher ein Hirngespinst, eine Idee, was man mal machen könnte.
Zur gleichen Zeit habe ich mit Kai aus einer Laune heraus ein Plattenlabel gegründet. 200 Records sollte eigentlich nur eine Platte herausbringen, weil wir das mal machen wollten. Allerdings waren wir mit der Idee so erfolgreich, dass wir ein Jahr später einen Vertriebsdeal beim international renommierten Vertrieb hatten. Bis heute haben wir 35 Platten herausgebracht.
Eine Träumerei wird Realität
Anfang 2009 haben wir außerdem begonnen, Partys in Köln zu veranstalten. Auch das lief so erfolgreich, dass ich 2009 den Mut fasste mich mit 200 Records selbstständig zu machen. Ich kündigte meinen Angestellten-Job und baute als zweites Standbein eine Internetfirma auf. Am Anfang machte ich mit 200 Records 75% meines Umsatzes. Allerdings war mir bewusst, dass ich nicht ewig Partys in der Technoszene machen wollte, weder Inhaltlich noch wirtschaftlich.
Im Jahr 2010 kamen wir dann auf die Idee, die mich schließlich in die Insolvenz treiben sollte: Wir eröffnen das 200 Bistro. Wir hatten das Nervös-Konzept ja schon in der Schublade. Wie wäre es, dachten wir, wenn man unser Label und Nervös zusammenführt und ein Musikbistro eröffnet?
Das Projekt war komplett unterfinanziert. Wir mussten vom ersten Tag an Gewinn machen, es gab keine Liquiditätsreserve für die ersten Monate.
Wir haben ein ordentliches Konzept und einen Businessplan geschrieben. Ein Bekannter mit guten Kontakten zur Kölner Wirtschaft stellte einen Kontakt zu einer Brauerei her. In einem denkwürdigen Treffen in einem Brauhaus saßen wir Gründer dann zwei Gastronomie-Managern gegenüber, die das Projekt mit uns umsetzen wollen. Das änderte alles: eine Idee, die eigentlich eher eine Träumerei war, wurde plötzlich Realität.
In den nächsten 18 Monaten suchten wir eine Location und fanden ein geschlossenes Restaurant. Hier fingen die Probleme schon an: die Miete war zu hoch, aber wir wollten unbedingt starten. Das Lokal befand sich zudem in einem Stadtteil, den unser Zielgruppe selten besucht. Das Projekt war komplett unterfinanziert. Wir mussten vom ersten Tag an Gewinn machen, es gab keine Liquiditätsreserve für die ersten Monate.
Aus nach fünf Monaten
Am Eröffnungstag im Mai 2011 kamen 400 Gäste und legten die komplette Straße lahm. Die Polizei kam und löste die Versammlung auf. Die Nachbarn beschwerten sich, denn was wir nicht bemerkt hatten: Obwohl wir eine sehr zentrale Lage hatten, waren wir in einer ruhigen Wohngegend gelandet. Das Haus war schlecht isoliert, sodass alle Bewohner etwas von unserer Musik hatten.
Am zweiten Tag kamen schon weniger Gäste, am dritten waren wir schon unter dem geplanten Umsatzschnitt und haben seitdem nie mehr als 200 Euro Umsatz am Tag gemacht. Wir hatten schon wenige Tage nach der Eröffnung die finanzielle Kontrolle verloren. Fünf Monate später war Schluss. Wir haben die klassischen Fehler der Gastronomie gemacht – obwohl wir uns über die klassischen Fehler der Gastronomie bewusst waren: Falsche Standortwahl, zu geringe Investitionsmittel, utopische Umsatzvorstellung, zu hohe Fixkosten. Aber der größte Fehler war, wir waren überhaupt keine geeigneten Gastronomen.
Der größte Fehler war, wir waren überhaupt keine geeigneten Gastronomen.
Am Ende saß ich auf 100.000 Euro Schulden fest, denn natürlich wollten jetzt alle ihr Geld zurück. Es war aber auch eine Befreiung. Der Traum vom Bistro sah nämlich in Wirklichkeit auch so aus: Jeden Tag von 8 Uhr bis Mitternacht auf den Beinen sein, ohne Geld und Aussicht auf Besserung.
Ein Jahr lang haben wir versucht, die Schulden ohne Insolvenz zurückzuzahlen. Dann war Schluss. Die Insolvenz wollte ich unbedingt vermeiden, weil ich dachte, meine anderen Projekte aufgeben zu müssen und fortan unter prekären Verhältnissen zu leben. Und in ein Angestelltenverhältnis wollte ich auf keinen Fall zurück.
Schließlich öffnete mir ein Schuldenberater die Augen: Wenn ich den Insolvenzverwalter davon überzeugen könnte, dass das Weiterführen meiner anderen Geschäfte ein Weg ist, um den Gläubigern ihr Geld zurückzuzahlen, dann könnte ich das Label und meine Internetfirma vielleicht weiterführen.
Von Null auf Hundert
Es funktionierte: Ich machte mit dem Insolvenzverwalter eine zahlbare monatliche Summe aus, die ich fortan 6 Jahre lang zu zahlen hatte. Gleichzeitig hat er mir die Weiterführung meiner Geschäfte bewilligt. Ich war auf Null und konnte wieder loslegen. 2013 war noch schwierig, aber seit zwei Jahren geht es stetig aufwärts mit meinem Plattenlabel und meiner Internetfirma, mit der ich heute den größten Teil meines Umsatzes mache.
Als gescheitert habe ich mich nie gesehen, ich habe etwas gewagt, es hat nicht funktioniert. Aber es geht weiter. Die Schulden, von denen am Ende – 2018 – wahrscheinlich ein Drittel bezahlt sein wird, haben wir bei Leuten gemacht, die mit uns ins Risiko gegangen sind. Und alle hatten Verständnis und haben uns das nicht übelgenommen.
Als gescheitert habe ich mich nie gesehen, ich habe etwas gewagt, es hat nicht funktioniert. Aber es geht weiter.
Was aus dieser Zeit bleibt? Vor allem habe ich sehr viel gelernt, weiß jetzt, wie man ein Unternehmen führt und vor allem, wie man es nicht führt. Ich habe sehr viele Menschen kennengelernt. Ich habe ein großes Netzwerk aufgebaut, das mir persönlich sehr viel gibt und mir wirtschaftlich nützt.
Wir hatten auch eine gute Zeit im Bistro mit vielen tollen Musikabenden. Wir haben viele neue Freunde gewonnen und viele Gruppen in der Musikszene der Stadt zusammengebracht.
Das Buch Minusvisionen hat mir den Mut und die Zuversicht gegeben, diesen Schritt zu wagen. Auf dem Buchrücken steht ein Zitat aus einer der Geschichten: „Wir haben unsere Sachen selbst am liebsten gemocht. Wir waren selbst unsere besten Kunden. Und das war auch die Idee.” Ein bisschen so war es auch bei uns.
Dirk Middeldorf ist Internetunternehmer, DJ, Partyveranstalter und Artist-Booker. Er lebt in Köln und ist Inhaber des Plattenlabels 200 Records sowie der Firma Dirk Middeldorf Web Consulting.